« Und zu seinen Zeichen gehören die Erschaffung der Himmel und der Erde und (auch) die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben. Darin sind wahrlich Zeichen für die Wissenden. » (Der Koran)
Wie die Erschaffung des Himmels und der Erde stellt der Unterschied der Sprachen und Farben ein Zeichen für die Wissenden dar. Sprache ist tatsächlich ein Zeichen. Das Wort (word) dient als Indikator für die Welt (world). Der französische Dichter Arthur Rimbaud sagt, dass es eine Beziehung zwischen dem Wort (le mot), dem Selbst (le moi) und der Welt (le monde) gibt. Im Arabischen haben die Wörter „Welt“ (A’lam), „Zeichen“ (Alama), „lehren/unterrichten“ (A’llama), und „andeuten/Zeigen“ (A’lama), und „ Gelehrte/Wissend “ (A’lem) denselben Wortstamm. Die Etymologie des Verbs « enseigner » im Französischen (Unterrichten) bedeutet «in Zeichen kodieren ».
Wenn wir eine Fremdsprache lernen, lernen wir nicht nur die Entsprechungen zwischen den Wörtern in dieser Sprache und in unserer eigenen Sprache. Das Studium einer Fremdsprache offenbart uns eine andere Grammatik der Existenz, andere Möglichkeiten, die Welt zu begreifen und in ihr zu sein. Die Erfahrung einer neuen Sprache ermöglicht ein besseres Verständnis unserer eigenen Sprache. Es öffnet unseren Geist auch für unbekannte Arten der Konzeptbildung, der Vorstellung der Selbst-/Fremden-Beziehung und der Selbstprojektion in die Zukunft.
Je tiefer man sich mit einer Fremdsprache beschäftigt, desto stärker wird man von der kulturellen Vielfalt und den verschiedenen Weltanschauungen durchdrungen. Während die Wissenschaft und wissenschaftliche Bestrebungen im Allgemeinen den Geist dazu prädisponieren, nach Einheit zu streben, ermöglicht die Sprache im Gegenteil die Kontemplation des Schauspiels der Vielfalt und führt so zu einem Kulturrelativismus, der uns dabei helfen kann, die Grundlagen des Zusammenlebens zu festigen.
Es ist von größter Wichtigkeit, sich der Frage der Sprache und ihrer Rolle bei der Gestaltung unserer wissenschaftlichen Paradigmen bewusst zu sein. Nur ein scharfsinniges poetisches Gespür und ein ausgeprägtes Sprachgefühl können zu dem führen, was Friedrich Schiller als ästhetische Erziehung des Menschen bezeichnete, bei der die wissenschaftliche Methode (Routine) nicht vom offenen Weg getrennt wird, dem Weg, den der deutsche Dichter Goethe als Ziel betrachtete.
Fachliteratur:
– Khalid Hajji, Islam-0ccident: décloisonnons nos cultures ( Paris: Cerf, 2018 )
– Kenneth White, Streifzüge des Geistes: Nomadenwege zur Geopoetik ( Frauenfeld: Waltgut Verlag, 2007 )
– Duane Williams, Language and Being: Heidegger’s Linguistics (Bloomsbury: Bloomsbury Academic, 2017 )
– Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen
– Lera Boroditsky, 7,000 Universes: How the Languages We Speak Shape the Way We Think ( US: William Heinemann, 2023 )
Prof. Dr. Khalid Hajji
Vorlesung: 3 UE, Präsenzveranstaltung mit Zoom, TP/AP, für alle
öffentliche Vorlesung